phönikische Kunst

phönikische Kunst
phönikische Kunst,
 
die im Küstenstreifen v. a. des heutigen Libanon und Nordisraels (Phönikien) beheimatete, aber auch andernorts entstandene Kunst des 10.-4. Jahrhunderts v. Chr.; der Begriff wird auch ausgedehnt auf die Kunst dieses Raumes sowie in Teilen Zyperns seit dem 12. Jahrhundert v. Chr. und in Kanaan auch früher, wobei allerdings eine Unterscheidung zwischen syrischen (ugaritischen) und »frühphönik.« Bereichen, die zudem beide vielfältige Einflüsse aus Ägypten und Vorderasien verarbeiteten, kaum geleistet werden kann. Analog zur Handelstätigkeit und Kolonisierung der Phöniker sind Werke und Werkstätten der phönikischen Kunst im ganzen Mittelmeerraum verbreitet, Funde auf Zypern datieren bereits Ende 12./11. Jahrhundert (Kition, heute Larnaka), auf Rhodos, Samos und in Griechenland (Korinth) seit dem 8. Jahrhundert, im westlichen Mittelmeerraum und an den Atlantikküsten seit Ende des 8. Jahrhunderts; als Handelsware oder Beutegut gelangten phönikische Arbeiten auch nach Assyrien.
 
Zentren der phönikischen Kunst des Mutterlandes waren seit dem 10. Jahrhundert v. a. Sidon und Tyros, außerdem sind Arados (Arwad, heute Ruwad bei Tartus, Syrien) und Berytos (Beirut) zu nennen. Für die kanaanäisch-frühphönikische Kunst des 2. Jahrtausends v. Chr. ist als mächtigste Stadt dieser Epoche Byblos Zentrum. Bauwerke haben sich archäologisch erst aus der Zeit der achaimenidischen Oberherrschaft und des Hellenismus fassen lassen, sie scheinen sowohl ägyptische wie phönikisch-syrische Wurzeln (Tempelgrundrisse im Bit-Hilani-Typ, Bautechnik) zu haben. Auf der mit Bronzereliefs beschlagenen Tür aus Imgur-Enlil ist eine typische, auf engem Raum auf einer Insel vor der Klippenküste hoch gebaute phönikische Stadt (Tyros) dargestellt. Phönikische Elfenbeinreliefs zeigen die für die Architektur der Phöniker typischen Fensterbalustraden, deren Säulchen Kelchblattkapitelle tragen. Aus der Frühzeit der phönikischen Kunst beziehungsweise der Epoche, in der die Kunst des 1. Jahrtausends wurzelt, wurde in Byblos der »Obeliskentempel« aus dem frühen 2. Jahrtausend freigelegt. Durch die phönikische Inschrift ist der steinerne Kastensarkophag des Königs Achiram von Byblos (um 1000) mit figürlichen Reliefs besonders bekannt. In Amrit, Tyros und Sarepta, auf Sardinien und Zypern gibt es einige Großplastiken (8.-6. Jahrhundert). Überall verbreitet sind Grabstelen; Grabbauten wurden besonders in Salamis untersucht. Masken aus Bronze oder Terrakotta fanden sich in Gräbern oder - in Griechenland - in Heiligtümern. Die zahlreichen Statuetten phönikischer Götter sind ebenfalls aus Terrakotta oder Bronze. Kostbare phönikische Erzeugnisse der Kleinkunst gehörten zu den wichtigsten Handelswaren. Aus dem 10.-7. Jahrhundert stammen vergoldete Bronze- oder Silberschalen mit figürlichen Relieffriesen (z. B. Stiermotive), die nur in Phönikien selbst hergestellt wurden (Funde auf Zypern, in Etrurien und Nimrud), birnenförmige Metallkannen, bemalte Straußeneier, feine »rote Ware« (Keramik mit Engobe, hergestellt 850-550), zum Teil granulierter Schmuck, besonders Ohrringe (in Sichel- oder Bootform; Gehänge), Armbänder, Anhänger, darunter auch viele Siegel, die im 6.-4. Jahrhundert v. a. in Tharros auf Sardinien gearbeitet wurden. Ältere Siegel (9.-6. Jahrhundert) sind oft schwer von ägyptischen zu unterscheiden. Das gilt auch für die Glasgefäße, wobei die phönikischen in der Regel die feineren Arbeiten sind. Glasperlen (Augenperlen) wurden seit dem 6. Jahrhundert als Massenartikel hergestellt. Die Elfenbeinschnitzereien aus dem 8. Jahrhundert zeigen deutlich eine eigene stilistische Ausformung in den weichen Konturen der Figuren, motivlich und kompositorisch Anlehnungen an ägyptische und mesopotamische Vorbilder (besonders Siegel des 2. Jahrtausends), wobei die Bildgedanken jedoch mit künstlerischer Fantasie zu einer neuen Einheit verschmolzen sind; Fundorte sind v. a. die assyrischen Paläste von Kalach (Nimrud) und Hadatu (Arslan-Tasch). Von den Elfenbeinarbeiten des 14. Jahrhunderts aus Tell Kamid el-Loz (Beka, Libanon) wird wegen ihrer Sensibilität, Lebensnähe und Frische eine Linie zu phönikischen Statuetten und den Elfenbeinarbeiten des 8. Jahrhunderts gezogen. Von den berühmten Purpurstoffen sind keine Reste erhalten. - Ausgrabungen phönikischer Kolonien fanden u. a. in Kition (Zypern), Sukas (Syrien), Sarafand (Israel), Toscanos, Morro de Mezquitilla (spanische Mittelmeerküste), Tharros, Nora nel Sulcis (Sardinien), Motye (Sizilien) und Lixus (Marokko) sowie Karthago statt, das im Westen ab etwa 550 die phönikischen Städte der Levante zurückdrängte, was archäologisch an der Ablösung phönikischer durch punische Horizonte ablesbar ist.
 
Den kulturellen Anstößen, die die Phöniker dem Mittelmeerraum gaben, gilt ebenso wie ihren eigenständigen künstlerischen Leistungen zunehmend die Aufmerksamkeit der jüngeren Forschung. Der Einfluss der phönikischen Kunst wird im orientalisierenden Stil der griechischen und etruskischen Kunst, auch in der Kunst von Tartessos am Guadalquivir fassbar.
 
 
E. J. Wein u. R. Opificius: 7000 Jahre Byblos (1963);
 R. Barnett: A catalogue of the Nimrud ivories (London 21975);
 W. Orthmann: Der alte Orient (1975);
 A. Parrot u. a.: Die Phönizier. Die Entwicklung der phöniz. Kunst von den Anfängen bis zum Ende des Dritten Pun. Krieges (a. d. Frz., 1977);
 P. Wagner: Der ägypt. Einfluß auf die phöniz. Architektur (1980);
 
Frühe Phöniker im Libanon, hg. v. R. Hachmann, Ausst.-Kat. (1983);
 
Die Phönizier, hg. v. S. Moscati, Ausst.-Kat. (a. d. Ital., 1988);
 H. Weippert: Palästina in vorhellenist. Zeit (1988);
 
Die Phönizier im Zeitalter Homers, hg. v. U. Gehrig u. a., Ausst.-Kat. (1990).
 
Weitere Literatur: Phönikien.
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
phönikische Kultur: Kunstwerke und Kulturtechnik - Spuren der Phöniker im Mittelmeerraum
 

Universal-Lexikon. 2012.

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